Schlechte Arbeit für schlechten Lohn!
(Übersetzung des Artikels aus der Schwarzen Chatz #73).
Es ist irgendwie ironisch, in einer anarchistischen und revolutionär-syndikalistischen Zeitung über Émile Pouget zu sprechen. Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, um dem Menschen gerecht zu werden, der vielleicht die bissigste und spitzeste Feder in der frankophonen anarchistischen Welt des 19. und 20. Jahrhunderts führte. Selbst, falls ihr noch nie von ihm oder seinem Père Peinard gehört habt, so habt ihr doch zumindest schon einmal (hoffentlich) das Wort „Sabotage“ benutzt, das wir ihm verdanken (siehe Artikel: „Wenn die Holzschuhe beginnen, im Takt des Klassenkampfes zu tanzen“ in dieser Ausgabe). Seine Texte haben viele Künstler*innen inspiriert, beispielsweise Abstral Compost, Stéphane Blok, George Brassens oder Renaud. Als Anarchosyndikalist*innen, denen Journalist*innen nicht weniger egal sein könnten, inspiriert uns sowohl Émile Pougets Überzeugung, das geschriebene Wort zur Agitation zu nutzen als auch die Resonanz, die er in Arbeiter*innen-Kreisen fand. Deshalb ist es uns wichtig, euch von ihm zu erzählen.
Im Folgenden veröffentlichen wir einen Auszug eines biographischen Artikels von Colette Chambelland, Guillaume Davranche und Josef Ulla im Maitron, dem anarchistischen Wörterbuch. Den ganzen Artikel (auf Französisch) findet ihr hier: https://maitron.fr/spip.php?article155495.
Im internationalen Zentrum für Recherchen über den Anarchismus (CIRA) in Lausanne findet ihr zahlreiche Bücher über und von Émile Pouget, ebenso eine Broschüre, die einige Texte aus Père Peinard umfasst und eine CD (Tout à l’égout von Abstral Compost und Stéphane Blok)
Émile Pouget war nicht nur eine wichtige Figur des Anarchismus, sondern auch der französischen Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung, in deren Pantheon er zu Recht zu den „Gründervätern“ gezählt werden darf. Émile Pouget, der schillernde Pamphletist, gewiefte Stratege und unvergleichliche Agitator, durchlebte verschiedene Phasen in seinem aktivistischen Werdegang. Zunächst ein junger Anarchist der Gruppe demi-quarteron, wurde er als Autor von Père Peinard berühmt; ein Werk, das massgeblich dazu beitrug, dass sich der Anarchismus zuerst dem Generalstreik und dann dem Syndikalismus zuwandte. Nach der Dreyfus-Affäre widmete er sich voll und ganz dem Syndikalismus, bis er schliesslich zur grauen Eminenz der CGT wurde. Selbst nachdem er sich aus der Verantwortung zurückgezogen hatte, blieb er noch einige Jahre lang ein gut informierter Kommentator des Gewerkschaftslebens.
Émile Pouget wurde in die Bourgeoisie der Provinz hineingeboren. Seine frühe Kindheit wurde im Jahre 1866 durch den Tod seines Vaters, einem Notar, aufgewühlt. Émile hatte einen Bruder, Ididore, der zuerst Lehrer an einem Gymnasium und dann Hochschuldozent in Rennes und später Alger wurde. Sein Bruder verstarb am 30. Juni 1933 in Salles-la-Source (Averyon). Émiles Mutter heiratete 1868 Philippe Vergley, den Leiter der Strassenbaubehörde. Dieser verschrieb sich durch und durch republikanischen Überzeugungen. Um seine Ideen zu verbreiten, gründete er die regionale Wochenzeitung L’Aveyron républicain, woraufhin er aus dem Dienst entlassen wurde. Émile Pouget lebte also seit seiner Kindheit in einem politischen und kämpferischen Umfeld. […] Es ist daher nicht weiter überraschend, dass Émile Pouget an seinem Gymnasium das kleine handgeschriebene Blatt Le Lycéen républicain veröffentlichte. Als 1875 sein Stiefvater starb, musste er das Gymnasium verlassen. 1877 ging er nach Paris, wo er anfing, bei Bon Marché zu arbeiten.
Junger Anarchist der Demi-Quarteron
Durch die Lektüre von die soziale Revolution wurde Pouget zum Anarchisten. Sobald er fertig mit seiner Arbeit war, lief der 17-jährige Émile Pouget zu öffentlichen revolutionären Sitzungen und Treffen, wo er Émile Digeon traf. Der alte Kommunarde sollte einen entscheidenden Einfluss auf ihn haben und ihn später als seinen „geistigen Sohn“ betrachten.
[…]
Nach der Amnestie der Kommunarden gehörten Digeon und Pouget zu der anarchistischen Gruppe, die sich beim Weinhändler Vater Rousseau in der Rue Saint-Martin 131 im 4. Arrondissement von Paris traf. Im Rahmen der Aktivitäten dieser Gruppe liess Pouget von der Gewerkschaft der Textilangestellten die antimilitaristische und aufständische Broschüre À l'armée herausgeben, die hauptsächlich von Digeon verfasst wurde. Pouget wurde wegen einer Krampfader ausgemustert und vom Militärdienst befreit.
Pouget wurde Buchhändler und bald zu einem der bekanntesten Aktivist*innen im Milieu der Pariser Anarchist*innen.
Am 9. März 1883 rief die Gewerkschaftskammer der Schreiner angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit die Arbeitslosen zu einer Versammlung unter freiem Himmel auf der Esplanade des Invalidendoms zusammen. Nachdem ein Teil der Anwesenden von der Polizei auseinandergetrieben worden war, übernahm Pouget zusammen mit Louise Michel die Führung einer Kolonne von Demonstrierenden, die über den Boulevard Saint-Germain zum Faubourg Saint-Antoine gelangen wollte. Mit Rufen wie: „Brot, Arbeit oder Blei“ wurden drei Bäckereien geplündert. Am Place Maubert stiess der Demonstrationszug auf die Polizei, und sowohl Mareuil als auch Pouget wurden festgenommen. Bei der daraufhin durchgeführten Hausdurchsuchung wurden ein 6-schüssiger Revolver, verschiedene Fläschchen mit explosiven Chemikalien und 600 Exemplare der Broschüre À l'armée gefunden.
Vom 22. – 24. Juni fand vor dem Schwurgericht des Departements Seine ein Prozess mit zwei Gruppen von Angeklagten statt: eine Gruppe, die angeklagt wurde, weil sie die Plünderung der Bäckereien angeführt hatte (Louise Michel, Pouget und Mareuil), und eine Gruppe, die angeklagt wurde, weil sie die von Pouget versandte Broschüre À l'armée erhalten hatte (Léon Thiéry aus Reims; Jacques Moreau, Pol Martinet und Henri Enfroy aus Troyes; Claude Corgeret und Marie-Anne Bouillet aus Roanne). [...] Vor Gericht legte Pouget ein anarchistisches Glaubensbekenntnis ab. Louise Michel wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Mareuil wurde freigesprochen, aber Pouget wurde wegen Anstiftung zur bewaffneten Plünderung und Verbreitung antimilitaristischer Propaganda zu acht Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Aufsicht verurteilt. Er verbüsste drei Jahre im Gefängnis von Melun und wurde im Rahmen der Amnestie von 1886 freigelassen.
[…]
Die Feder von Père Peinard
Émile Pouget widmete sich daraufhin einem persönlicheren Projekt zu und am 24. Februar 1889 erschien die erste Ausgabe von Père Peinard, einer kleinen Broschüre im Format der berühmten Laterne von Henri Rochefort, aber mit einem ganz eigenen Stil. Pouget wollte eine Volkszeitung machen, die sich einer starken und bildhaften Sprache in der Tradition Père Duchênes bediente. Sein Père Peinard war ein „gniaff“ (Schuster), der sich „zum Journalisten entfacht“ hatte, weil ihm „eine Menge Ideen im Kopf herumschwirrten“. Er würde jede Woche „ganze sechzehn Seiten für zwei Stutz“ liefern. Mit Le Père Peinard erwies sich Pouget als grossartiger proletarischer Pamphletist. In seiner Zeitung fanden sich alle Themen der anarchistischen Propaganda wieder: gegen den Staat, die Kirche, die Armee und die Arbeitgeber. Pouget setzte dort auch die Kampagne gegen General Boulanger fort („Barbapoux“).
Vor allem aber wurde Le Père Peinard in den Dienst dessen gestellt, was sich in der anarchistischen Bewegung zu einer grundlegenden Idee entwickelt hatte: dem enteignenden Generalstreik. In der Ausgabe vom 3. November 1889 schrieb Pouget: „Ja, um Gottes willen, es gibt heute nichts anderes als den Generalstreik!“ Und: „Sehen Sie, was passieren würde, wenn es während zwei Wochen keine Kohle mehr gäbe… Wenn Fabriken stillstehen würden, gäbe es in den grossen Städten kein Gas mehr, und die Eisenbahnen würden stillstehen. Dann würde fast die gesamte Bevölkerung zum Stillstand kommen. Das würde ihr Zeit zum Nachdenken geben: Sie würde begreifen, dass sie von den Arbeitgebern übelst bestohlen wird, und sie würde ihnen vielleicht sogar ordentlich den Kopf waschen.“
Le Père Peinard wurde schnell erfolgreich. Paul Delesalle kommentierte ihn 1931 mit den Worten: „Pougets kleine Pamphlete hatten einen Erfolg, den man sich heute schwer vorstellen kann. Solange Le Père Peinard [...] bestand, gab es in einigen Arbeiterzentren eine echte proletarische Agitation, und ich könnte zehn, zwanzig Arbeiterorte wie Trélazé, Fourchambault nennen, in denen jede Bewegung nach dem Verschwinden seiner Pamphlete zum Stillstand kam. Insbesondere in Paris, unter den Schreinern des Faubourg Saint-Antoine, hatte die Bewegung so lange Bestand, wie Le Père Peinard lebte. [...]“
Von einem anfänglich kleinen Format (16 x 22,5 cm) wurde Père Peinard zwischen 1891 - 1892 zu einem grösseren Format (24,5 x 32,5 cm), das sich besser für den Zeitungsverkauf auf der Strasse eignete und ab Januar 1893 noch grösser (27 x 36,6 cm). [...] Es hagelte Strafverfolgungen und von Zeit zu Zeit verbrachte Pouget seine Zeit in der Zelle von Sainte-Pélagie, von wo aus er weiterhin seine Kopie verschickte. [...]
Doch Pouget beschränkte sich nicht auf das Verfassen und Publizieren seiner Zeitung. Er beteiligte sich auch aktiv im Cercle anarchiste international, der 1888 in Paris gegründet wurde und der zum zentralen Dreh- und Angelpunkt für Anarchist*innen dieser Epoche wurde.
1892 missbilligte Pouget die Kampagne von Sébastien Faure gegen den 1. Mai und war Mitunterzeichner der Erklärung, in der es hiess, dass der „von Politikern initiierte 1. Mai revolutionär geworden ist und anarchistische Tendenzen hat[...]“.
Pouget ermutigte während der Terrorismuswelle von 1892 – 1894 nicht zu Attentaten. Die Ausgabe von Père Peinard vom 4. September 1892, die einige Wochen nach Ravachols Hinrichtung erschien, berichtete auf der Titelseite über den Generalstreik, der als die revolutionäre Methode schlechthin gepriesen wurde, schwieg sich aber über die „Propaganda der Tat“ aus. Im Peinard vom 1. Januar 1893, in dem Pouget eine Bilanz des vergangenen Jahres zog, kam er jedoch auf die Figur Ravachols zurück, die „das Jahr, das gerade zugeschlagen hat, stark dominiert“, und schrieb, dass „Ravachol hat mit seiner netten Anwendung kleiner Töpfe [ugs. für Granaten, A.d.Ü.] zur Lösung der sozialen Frage Tür und Tor für Aktionen mit individueller Initiative und individuellem Urteilsvermögen geöffnet.“
Das Attentat von Auguste Vaillant auf die Nationalversammlung im Dezember 1893 führte derweil zur Verabschiedung der „Schurkengesetze“ und einer seit der Pariser Kommune nicht mehr dagewesenen Repressionswelle. [...] Der Jahresrückblick von Père Peinard des Jahres 1894, der Pouget gerade veröffentlicht hatte, wurde beschlagnahmt. Am 21. Februar 1894 stellte die Zeitung, gemeinsam mit fast allen anderen anarchistischen Zeitungen, ihre Veröffentlichung ein. Émile Pouget flüchtete nach London [...].
[…]
Pionier des revolutionären Syndikalismus
Im Exil beteiligte sich Émile Pouget an der Zeitschrift The Torch, die ein Ort der Begegnung und des Austauschs zwischen französischen, italienischen und britischen Anarchist*innen war […]. Im Oktober 1894 wurden die neuen Positionen der Zeitung in einer Grundsatzerklärung dargelegt: „Wir wissen, dass die Revolution von den Arbeiter*innen selbst vollbracht werden wird, und deshalb glauben wir an den Eintritt von Anarchist*innen in Arbeitervereinigungen, und wenn Genoss*innen, die Gewerkschaften usw. angehören, mit uns korrespondieren wollen, werden wir ihnen die Spalten unserer Zeitung bereitwillig öffnen. Die Arbeiterbewegung wird uns ebenso interessieren wie die revolutionäre Bewegung, denn der Triumph der einen hängt von der anderen ab.“
Im selben Monat veröffentlichte Pouget in Le Père Peinard seinen Artikel: „Wer listig ist, wird noch listiger“, der als einen Wendepunkt vom Anarchismus hin zum Syndikalismus in die Geschichte eingehen soll: „Zur heutigen Zeit bringt es nichts, laut zu verkünden, ein Anarcho zu sein […]. Da es nicht mehr möglich ist, offen seine Ideen zu verkünden, gilt es, taktisch vorzugehen, sich sanft zu bewegen. […] Ein Ort, an dem es bitter nötig ist, dass sich die Genoss*innen einbringen, ist in der Gewerkschaftskammer ihrer Zunft. Dort kann man ihnen nicht auf die Pelle rücken: Gewerkschaften sind immer noch erlaubt […]. Wenn man erklärt, dass alle politischen Gruppierungen Einfaltspinsel sind, dass die Realität nur in materieller Hinsicht gibt, dann gibt es keine bessere Basis als die Gewerkschaftsarbeit. Es war ein grosser Fehler, unsere Arbeit auf Bezugsgruppen zu beschränken. Die Bezugsgruppen sind nicht im Volk verankert. […
] Was für eine schöne Wendung wäre es, wenn die Gewerkschaften voller aufmüpfiger Jugendlicher mit einem Hass auf die Bosse und die Regierenden sind. […] Die grossen Fische würden einen grossen Aufstand machen, wenn die Anarchos, von denen sie dachten, sie zum Schweigen gebracht zu haben, die Gelegenheit nutzen würden, in die Gewerkschaften einzutreten, um dort ruhig und ohne grosses Tamtam ihre Ideen zu verbreiten.“
1895 kehrte Pouget dank der Amnestie nach Frankreich zurück. […]
Während der Jahre von La Sociale war Émile Pouget äusserst aktiv, in voller Übereinstimmung mit Fernand Pelloutier und Bernard Lazare, an der Umsetzung einer Strategie der Annäherung von antiparlamentarischen Anarchist*innen und Sozialist*innen auf europäischer Ebene beteiligt, um den wachsenden Einfluss der Sozialdemokratie in der Arbeiterbewegung zu bekämpfen. Diese Annäherung sollte im Sinne des Antiparlamentarismus, des Syndikalismus und der Idee des Generalstreiks erfolgen.
[…]
Der CGT-Kongress in Toulouse vom 20. bis 25. September 1897 gab Émile Pouget die Gelegenheit, einen bemerkenswerten Auftritt in der Gewerkschaftsbewegung zu absolvieren. Seit Anfang 1896 vertrat Le Père Peinard zwei aus England mitgebrachte Ideen: den Boykott und das „go canny“, was Pouget mit „Sabotage“ übersetzte. Émile Pouget nahm als Delegierter der Gewerkschaft der Schuhmacher*innen in Paris, der Föderation der Gewerkschaften in Wien und der Arbeitsbörse in Amiens am Kongress teil.
Die auf dem Kongress anwesenden Anarchisten Pierre Narcisse, Rémy Thierrart, Bernadac, Paul Delesalle und Émile Pouget traten geschlossen der Kommission, die sich mit Boykott und Sabotage befasste, bei und machten somit die Hälfte ihrer Mitglieder aus. Die Kommission erstellte einen Bericht, wahrscheinlich von Pouget im Voraus verfasst, der vom Kongress einstimmig angenommen wurde. Das Wörterbuch Larousse nahm Pougets Definition des Wortes „Sabotage“ einige Jahre später auf.
[…]
Die Jahre 1898-1899 waren von der Dreyfus-Affäre geprägt. Im Jahr 1897 hatte sich Émile Pouget entschieden aus der Debatte herausgehalten, die er für eine Verzögerungstaktik für Revolutionäre hielt. Zolas „J'accuse“ in L'Aurore provozierte umgehend die folgende Replik von Père Peinard am 16. Januar 1898: „Sehen Sie, meine lieben Freund*innen, solange die Richter und Aufseher nur das einfache Volk unter ihrer Fuchtel haben, bleiben die Journaliste*innen gleichgültig und stumm wie ein Karpfen. Aber die Tonlage ändert sich, sobald ein Feigling aus der Oberschicht in ihre Schlinge gerät. [...] Und Sie, Herr Zola, [...] wieso fordern Sie nicht mit derselben Inbrunst wie für Dreyfus die Freilassung von Girier-Lorion, Meunier, Chevry, Monod, Liard-Courtois, Vauthier, Lardoux? Sagen Sie ... Warum?“
Père Peinard startete sofort eine Kampagne für die Freilassung der oben genannten anarchistischen Sträflinge.
[…]
Die grauen Eminenzen des CGT
Während mehrerer Jahre führte Pouget eine Kampagne zur Wiederbelebung des 1. Mai mit der Forderung des Achtstundentages. In der CGT-Zeitung La Voix du peuple (zu Deutsch: Die Stimme des Volkes) publizierte er in diesem Zusammenhang das Argumentarium „Die Zukunft des 1. Mai“, in dem er schrieb: „Lasst uns unsere Aktion vereinen! Der Erste Mai soll für uns nicht mehr den unzusammenhängenden Charakter haben, der ihm jede Bedeutung genommen hat. Möge an diesem Tag nur ein Ziel dominieren: die Eroberung des Achtstundentages.“
[…]
Nach dem Kongress zur Einheit der Gewerkschaften im September 1902 in Montpellier blieb Pouget Chefredakteur von La Voix du peuple. Ebenso begann er, die CGT auf internationaler Ebene zu vertreten.
[…]
Die Reformist*innen störten sich bald am radikaleren Kurs des Bundesvorstandes und begannen ab 1903 „die Anarchist*innen“ zu beschuldigen, das Bundessekretariat zu instrumentalisieren und in der Zeitung La Voix du peuple übermässig regierungsfeindliche Positionen zu vertreten. Pouget wurde direkt angegriffen.
Am 29. Juli 1904 starb seine Partnerin Stéphanie Boiteux, die von den Genoss*innen liebevoll la mère Peinard genannt wurde und die dem Aktivisten jederzeit zur Seite stand.
[…]
Zu dieser Zeit [1906] hörte Pouget auf, sich öffentlich als Anarchisten zu bezeichnen. Obwohl er die Anarchist*innen keineswegs ablehnte und sich noch jahrelang mit ihnen umgab, führte seine gewerkschaftliche Verantwortung dazu, dass er die Einheit der Arbeiterschaft systematisch über seine parteipolitischen oder gar ideologischen Präferenzen stellte.
Wahrscheinlich war dies auch der Grund, weshalb Pouget im Rahmen des Bundesvorstandes die (Minderheiten-)Idee verteidigte, dass die CGT nicht nur die Arbeiter*innen, sondern auch die Akademiker*innen, Kleinbäuer*innen, Fischer*innen und proletarisierten Handwerker*innen vereinen solle, mit der Argumentation, dass diese trotz des Besitzes ihrer Arbeitsinstrumente proletarisierte Produzent*innen seien, ebenso wie „von Hand nähende“ Schuster*innen die Eigentümer*innen ihrer Arbeitsinstrumente seien. Ebenso sprach er sich 1905 (vergeblich) für die Aufnahme der Gewerkschaft der Berufsjournalist*innen aus.
[…]
Anlässlich des CGT-Kongresses von Amiens im Oktober 1906 beteiligte sich Émile Pouget gemeinsam mit anderen Aktivisten, darunter Victor Griffuelhes, Paul Delesalle und Louis Niel, an der Verfassung eines Antrages über die Beziehungen zwischen der CGT und politischen Organisationen. Der Text behandelte die „doppelte Aufgabe, die tägliche und die zukünftige“ des Syndikalismus: „In der täglichen Arbeit verfolgt der Syndikalismus die Koordinierung der Bemühung der Arbeiter*innen, die Steigerung des Wohlbefindens der Arbeiter*innen durch die Verwirklichung unmittelbarer Verbesserungen wie Arbeitszeitverkürzung, Lohnerhöhung etc. Aber diese Arbeit ist nur eine Seite des Werkes des Syndikalismus; er bereitet ausserdem die vollständige Emanzipation vor, die nur durch Enteignung der Kapitalist*innen erreicht werden kann, er befürwortet den Generalstreik als Aktionsmittel und er anerkennt, dass die Gewerkschaft, heute eine Widerstandsgruppe, in Zukunft als Produktions- und Verteilungsgruppe die Grundlage für die soziale Reorganisation sein wird.“ Der Text fordert auch die vollkommene Unabhängigkeit des Syndikalismus: „In Bezug auf die Organisationen erklärt der Kongress, dass, damit der Syndikalismus seine maximale Wirkung erreicht, sich die wirtschaftliche Aktion direkt gegen die Arbeitgeber richten muss, dabei haben sich die Konföderationsorganisationen als gewerkschaftliche Gruppierungen nicht um die Parteien und Sekten zu kümmern; diese können abseits und an der Seite der Organisationen der CGT vollkommen frei die soziale Transformation verfolgen können.“
Der Antrag wurde mit 830 Stimmen angenommen, bei 8 Gegenstimmen und einer Enthaltung, und ging als Charta von Amiens in die Geschichte ein.
[…]
In der Folge spielte Émile Pouget keine entscheidende Rolle in der Gewerkschaftsbewegung mehr, obwohl er weiterhin häufig den Sitz der CGT in Paris in der Rue de la Grange-aux-Belles, besuchte, wo ihn alle kannten.
1909 veröffentlichte er gemeinsam mit Émile Pataud einen Zukunftsroman (Comment nous ferons la revolution, zu Deutsch: Wie wir die Revolution machen werden), der in halb-pädagogischer, halb-komödiantischer Weise die Schritte der antikapitalistischen und antistaatlichen Revolution beschreibt. Das Werk zeugt vom Einfluss vergangener revolutionärer Erfahrungen von 1789 bis 1871, die durch zeitgenössischen revolutionären Syndikalismus aktualisiert wurden. […]
Im Herbst unterzeichnete er den Aufruf des Ferrer-Komitees […], das eine Kampagne zur Amnestie eines zu Tode verurteilten Anarchisten führte.
[…]
Er starb am 21. Juli 1931 und wurde in Lozère beerdigt, im Beisein einer kleinen Trauergemeinde, zu der Pierre Monatte, Maurice Chambelland und Paul Delesalle gehörten. Ihm wurden nur wenige echte Nachrufe gewidmet [...].