Den Rotstift brechen! Widerstand in der UPD

von FAU Schweiz

Am 16. März 2024 fand in Bern eine Demonstration für die Finanzierung der Angebote der UPD statt. Durchgeführt wurde sie von der FAU sowie von organisierten Arbeiter*innen und Nutzer*innen dieser Angebote.

 

Am 24. Januar 2024 wurde folgende Nachricht in die Chats der angesprochenen Gruppen geschickt:

«In der UPD (Psychiatrie in Bern) wurde heute kommuniziert, dass die Soziale Arbeit weggespart wird. 1000 Stellenprozente werden gestrichen und es werden wohl alle entlassen. Wir als FAU (Branchensyndikat Soziales und Region Mitte) sollten uns bereit machen, zu reagieren.»


Und damit hatte es begonnen! Die Sparmassnahmen, welche von den Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) kommuniziert wurden, betreffen allesamt Angebote im Bereich der sozialen Dimension psychischer Erkrankungen. Der interne Sozialdienst soll verkleinert, die Werkstatt «Holzplatz» geschlossen und die Finanzierung für das «Freizeitzentrum metro» sowie das «Recovery College Bern» vollständig gestrichen werden. Die Empörung bei den Arbeiter*innen und Nutzer*innen ist riesig! Vor zwei Jahren hat sich innerhalb der FAU ein starkes Syndikat der Arbeiter*innen in den sozialen Bereichen formiert und genau dieses Branchensyndikat Soziales wurde nach der Veröffentlichung der Sparmassnahmen kontaktiert. Innert kurzer Zeit entstand eine Gruppe aus Betroffenen dieser Kürzungen – aus allen genannten Angeboten sind Personen aktiv dabei.

Gemeinsam wurde eine Kampagne erarbeitet. In diesem Rahmen entstanden 14 Videos mit Stimmen von Nutzer*innen und Fachpersonen über die unterschiedlichen Angebote. Es entstanden Medienbeiträge in der WOZ und im Radio RaBe. Es wurden Flyer und Buttons erstellt. Und es wurde für die Demonstration am 16. März mobilisiert. All das schuf Sichtbarkeit für den Widerstand gegen die Sparmassnahmen.

Am 16. März um 14:00 Uhr war es dann so weit. Hunderte Menschen versammelten sich auf dem Rathausplatz und zogen gemeinsam durch die Stadt und auf den Waisenhausplatz. Auf dem Waisenhausplatz angekommen, wurde die Plattform genutzt, um den Betroffenen eine Stimme zu geben. Nutzende, Peers, aktuelle Patient*innen und Angestellte kamen zu Wort.

Diese bunte und facettenreiche Demo konnte etwas ganz Besonderes erreichen. Sie konnte eine kämpferische Stimmung aufbauen und gleichzeitig Platz schaffen für vulnerable Menschen, die zum Teil an ihrer ersten Kundgebung überhaupt waren. Sie konnte gewerkschaftliche Themen, Anliegen der Sozialen Arbeit und Mental Health Aspekte verbinden und sichtbar machen. All das ist besonders, weil es sich um Facetten handelt, die gesellschaftlich eher wenig Raum bekommen oder sogar aktiv verdrängt werden. Doch zahlreiche Rückmeldungen haben gezeigt: Die organisierten Arbeiter*innen und Nutzer*innen sowie die Mitglieder der FAU konnten eine Plattform für genau das schaffen!

Erste Erfolge konnten schon gefeiert werden! Das Freizeitzentrum «metro» wurde nicht wie anfangs angekündigt per sofort geschlossen und die Kürzungen im Sozialdienst fallen wohl nicht so hoch aus, wie gedacht. Trotzdem – für viele Arbeiter*innen ist noch unklar, wie es mit ihrer Stelle weitergeht. Für viele Nutzer*innen ist noch unklar, wo in Zukunft ihre soziale Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht wird. Für viele Fachpersonen der Sozialen Arbeit im Gesundheitsbereich ist noch unklar, ob es sie vielleicht als Nächstes trifft. Somit heisst es: weiterkämpfen!

Für das Kollektiv der organisierten und aktiven Personen der UPD und der FAU stehen die nächsten Schritte an. Fest steht, dass es eine längerfristige Organisierung braucht, um die Angebote retten zu können. Im sozialen Bereich wird seit längerem gekürzt, eingespart und abgebaut. Dieser Entwicklung heisst es auf verschiedenen Ebenen entgegenzuwirken! Deshalb rufen wir Sozis auf, sich zu organisieren und sich gegen diese Entwicklungen zu wehren. Als Basis, als Arbeiter*innen, als (Mit-)Betroffene.

Branchensyndikat GPSoz

 

Ausschnitt aus der Rede

(Damit auch hier die Betroffenen zu Wort kommen, wird ein Teil einer Rede abgedruckt. Geschrieben wurde sie von Mitarbeiter*innen des Sozialdienstes der UPD, welche anonym bleiben.)


Stellt euch vor: Ihr habt einen guten langjährigen Freund, er ist verheiratet und hat zwei Kinder und wohnt in einem Reihenfamilienhaus. Eines Tages erzählt er euch, dass seine Frau sich plötzlich von ihm trennen will – er muss ausziehen und zieht in eine teure Wohnung in der Nähe.

Eurem Freund geht es seither gar nicht gut. Er leidet an einer Depression und darunter, dass er die Kinder viel weniger sieht, fühlt sich einsam und schlecht behandelt. Er beginnt wieder, vermehrt zu trinken. Dies merkt nach einiger Zeit auch sein Arbeitgeber und gibt ihm eine Verwarnung. Die Rechnungen häufen sich und er weiss nicht mehr wie weiter. Er fällt noch tiefer in die Krise und muss schlussendlich suizidal von seinem Hausarzt auf eine Akutstation der UPD Bolligenstrasse eingewiesen werden.

 


Dort hat er Arztgespräche und erhält Medikamente. Da er sich schämt, erwähnt er seine finanziellen Probleme nicht und es fragt auch niemand spezifisch nach. Er erhält eine Kündigungsandrohung des Vermieters, es droht die Obdachlosigkeit, die Schulden häufen sich.

 


Bisher war es in der UPD so, dass sehr bald ein*e Sozialarbeiter*in das Gespräch mit eurem Freund suchte und eine Beratung anbot. Es braucht

ein Gespräch mit seiner Ex-Frau, damit die Kinderbetreuung neu geregelt wird
ein Telefonat mit dem Arbeitgeber
ein Gespräch mit dem Vermieter bezüglich der offenen Miete
und noch vieles mehr.

[…]

Und jetzt stellt euch vor, euer Freund kommt aus einem Land im Krieg. Er war über Monate und Jahre auf der Flucht, erlebte dabei gefährliche und traumatische Situationen. In der Schweiz durchläuft er das Asylverfahren. Die fehlende Tagesstruktur, das Wiedererleben der traumatischen Erfahrungen, die Sorge um seine Familie – er kann den Kontakt zu ihr nicht mehr herstellen – die schlaflosen Nächte im Mehrbettzimmer und die Ungewissheit über den Ausgang des Asylverfahrens setzen ihm zu. Der Hausarzt stellt die Belastung fest und überweist euren Freund mit Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung an die Sprechstunde für transkulturelle Psychiatrie der UPD. Die Sozialarbeiterin nimmt sich folgenden Themen an:

Tagesstruktur: Vernetzung mit kostenlosen Angeboten (Deutschkurs, Sport, interkultureller Treff), Organisation der Reisekosten
Asylverfahren: Kontakt mit der Rechtsvertretung zur Klärung des Standes des Verfahrens (sind alle Beweismittel eingereicht, braucht es medizinische Berichte?)
Vernetzung mit dem Suchdienst SRK für die Suche seiner Familie
Unterbringung: Kontakt mit der Kollektivunterkunft zur Verbesserung der Wohnsituation

Voraussetzung für die Bearbeitung der Themen eures Freundes sind eine sorgfältige Situationserfassung, Auftragsklärung und Beziehungsgestaltung, sprich Zeit und Verständnis, damit er sich öffnen und auch über schambesetzte Themen sprechen kann. Und natürlich braucht es spezifisches Fachwissen, um für die komplexe Situation nachhaltige Lösungen zu finden und eurem Freund zu vermitteln, dass solche möglich sind.


In der UPD werden u.a. Patient*innen mit akuter Gefährdung, Mehrfachdiagnosen und in widrigsten sozialen Umständen, behandelt. Das bedeutet ein hoher Arbeitsaufwand, intensive Begleitung und emotionale Belastung für die Behandelnden. Um diesen Kraftakt zu vollbringen, braucht es ein interdisziplinäres Behandlungsteam, das Fachwissen vereint und zu Gunsten der Patient*innen Hand in Hand arbeitet.


Gemäss der WHO und international anerkannten Standards ist für die psychische Genesung eine stabile soziale Situation unerlässlich oder anders gesagt: Psychotherapie und Psychopharmakologie helfen nicht gegen die Betreibung, die Obdachlosigkeit oder den negativen Asylentscheid.


Wir kämpfen dafür, Menschen in der sozialen Dimension weiterhin qualitativ gut und menschenwürdig beraten zu können. Sozialarbeit schafft Zugänge und Teilhabe für jene Menschen, die aufgrund von kritischen Lebensereignissen und äusseren Bedingungen ins Strudeln geraten sind. Und an dieser Stelle möchte daran erinnert werden - das kann uns alle treffen! Sozialarbeit vertritt ihre Interessen. Und Interessen meint hier ganz bescheiden Grundbedürfnisse, die zu einem menschenwürdigen Leben gehören. Sozialarbeit gehört nicht eingespart und gekürzt, im Gegenteil, sie gehört dem Bedarf entsprechend ausgebaut, zum Ausgleich der Ungleichheiten in unserer Gesellschaft und als tragenden Pfeiler für den sozialen Frieden!

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