Sudan: An alle Unterstützer:innen der Freiheit

Im Oktober hat das Militär im Sudan geputscht. Es kommt zu Massendemonstrationen, wie schon zu Beginn der Revolution 2018/19. Nun müssen internationale Konsequenzen folgen und das Regime isoliert werden. Die Bevölkerung muss wieder an die Macht kommen.

 

Kurzer Hintergrund zu Geschehnissen


Ende 2018 begann es im Sudan zu brodeln. Wirtschaftskrise und die Repression unter dem Diktator Omar Al-Bashir führte zu Massendemonstrationen. Im April 2019 wurde Al-Bashir schliesslich entmachtet, da sich auch das Militär von ihm abwandte und so tat, als würde es den Weg frei für eine zivile Regierung machen. Nach einer kurzen Verschnaufpause trat das Militär jedoch bereits Mitte 2019 mit schärfster Repression gegen die immer noch demonstrierende Bevölkerung auf. In den darauf folgenden Verhandlungen wurde schliesslich eine Übergangsphase ausgehandelt und in einem Verfassungsgesetz (Constitutional Act) festgeschrieben. In der Übergangsphase bis zu einer neuen Verfassung sollte die Regierung je hälftig aus zivilen und militärischen Vertreter:innen bestehen[1]. Der „Frieden“ war von Anfang an trügerisch, da der zivile Teil immer machtlos gehalten wurde, während die Militärs immer Mehr macht an sich rissen. Nun hat Ende 2021 das Militär erneut geputscht. Nachfolgend findet sich der Aufruf der Sudanese Professionals Association SPA:


Der Sudan hat am 25. Oktober einen Militärputsch unter der Führung von General Abdul Fattah Alburhan erlebt. Am 11. November folgte der Versuch einer Legalisierung, indem der abgesetzte Premierminister Abdullah Hamduk zum Premierminister des Militärputsches ernannt wurde. Dies ändert natürlich nichts an der Natur des Putsches, und zwar aus folgenden Gründen:


Erstens: Das Verfassungsgesetz wurde im August 2019 von den Kräften der Freiheit und des Wandels (englisch: Forces of Freedom and Change) und dem Militärrat unterzeichnet. Dieses Abkommen wurde von der Afrikanischen Union unterstützt und gefördert, die erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um es zustande zu bringen. Auch wenn wir mit dem Verfassungsgesetz nicht ganz zufrieden waren, bleibt er die verfassungsrechtliche Referenz für die Übergangsphase und muss eingehalten werden. Wir glauben auch, dass der Schutz des Verfassungsgesetzes in der Verantwortung der Sudanes:innen, der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen liegt.


Zweitens: Die Entscheidungen, die Abdulfattah Burhan als Oberbefehlshaber des Militärs getroffen hat, sind verfassungswidrig, weil sie nicht zu seinen Befugnissen als Oberbefehlshaber des Militärs oder als Chef des Souveränen Rates gehören. Denn niemand hat das Recht, das Verfassungsgesetz auszusetzen. Die einzige Bezeichnung dessen, was am 25. Oktober 2021 geschah, ist daher, dass es sich um einen Militärputsch und die Untergrabung der verfassungsmässigen Ordnung handelt, was nach sudanesischem Recht ein Verbrechen ist. Es verstösst auch gegen die Grundsätze und Gesetze der Afrikanischen Union; es war daher ein guter erster Schritt, dass die Union die Mitgliedschaft des Sudans danach ausgesetzt hat.


Abkommen ist ungültig


Drittens: Das politische Abkommen, das zwischen dem Anführer des Putsches und Dr. Abdallah Hamduk, dem Premierminister des Militärputsches[2]

, unterzeichnet wurde, ändert nichts an den Tatsachen, dass es sich um einen Putsch handelt. Es verstösst sogar gegen die Verfassung und missachtet diese. Da eine unterzeichnete Vereinbarung zwischen zwei Parteien nur diese beiden umfasst, repräsentieren weder Burhan noch Herr Hamduk den zivilen Teil der Gesellschaft, der von den Kräften der Freiheit und des Wandels gebildet wird, wie es auch im Verfassungsgesetz steht.


Viertens: Die zwischen dem Anführer des Staatsstreichs und Abdullah Hamduk3 unterzeichnete Vereinbarung schützt die Handlungen, die am 25. Oktober 2021 stattgefunden haben. Abdullah Hamduk wurde demnach zum Premierminister ernannt, mit festgelegten Aufgaben und Funktionen, die im Widerspruch zum Verfassungsgesetz stehen. Darüber hinaus hat der Anführer des Staatsstreichs eigenmächtig den Souveränen Rat ernannt, ohne sich an das Verfassungsgesetz zu halten, und machte sich so zum Herrscher über alle Entscheidungen. Der Putschistenführer und sein Premierminister versuchen, der internationalen Gemeinschaft vorzugaukeln, die politische Einigung sei ein Rückzug des Putsches. Dies stimmt nicht.


Ein Rückzug des Putschs hätte zur Folge gehabt, dass alle nach dem Putsch getroffenen Entscheidungen null und nichtig gewesen wären. Daher sind alle vom Anführer des Staatsstreichs getroffenen Entscheidungen, wie die Auflösung und Umstrukturierung des Souveränitäts- und des Minister:innenhauses, verfassungswidrig und daher nichtig.


Massive Menschenrechtsverletzungen nach dem Staatsstreich


Seit dem Morgen des Staatsstreichs am 25. Oktober 2021 hat das sudanesische Volk in Massendemonstrationen gegen den Staatsstreich protestiert. Die Sicherheitsbehörden sind ihnen mit exzessiver Gewalt und Brutalität entgegengetreten. Die Gesamtzahl der von den Sicherheitskräften getöteten Märtyrer:innen beläuft sich auf 72, ganz zu schweigen von der Zahl der Verletzten, die an nur einem Tag (19. Dezember 2021) mehr als 300 betrug. Hier sind einige Beispiele für die nach dem 25. Oktober begangenen Verbrechen:

1. Einsatz von scharfer Munition, Tränengaskanistern (von denen einige giftige Gase enthielten) und Schallbomben.

2. Willkürliche Inhaftierungen waren in Gebäuden der Streitkräfte und der Rapid Support Forces RSF weit verbreitet, in denen Häftlinge gefoltert und misshandelt wurden. Andere wurden gemäss dem Notstandsgesetz in reguläre Gefängnisse verlegt.

3. Erwähnenswert ist die Verhaftung von 44 Kindern, die an friedlichen Demonstrationen teilgenommen hatten; einige von ihnen wurden vor Gericht gestellt.

4. Wie schon nach der brutalen Auflösung der Sitzstreiks 2019 haben die Putschist:innen das Internet und andere Kommunikationsmittel abgeschnitten.

5. Die anhaltenden Übergriffe von Milizen und regulären Regierungstruppen gegen Vertriebene in der Region Darfur sind weiterhin ein Brennpunkt, bei dem immer mehr unschuldige Menschen ums Leben kommen. Z.b. auch während der Ereignisse in Jebel Moon und Crank, bei denen Dutzende von Menschen getötet wurden und Tausende gezwungen waren, in benachbarte Ortschaften zu fliehen oder sich in den Tschad zu retten. Nach Angaben des Ärztekomitees im Bundesstaat West-Darfur wurden 148 Menschen getötet und 123 weitere verletzt. Dies geschah in Jebel Moon, Kerinik und Serba seit dem 17. November 2021.

6. In jüngster Zeit sind auch Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen, die nach dem humanitären Völkerrecht geschützt sind, vor Angriffen der Sicherheitsbehörden nicht verschont geblieben. Die Sicherheitskräfte sind in Krankenhäuser eingedrungen und haben Verletzte festgenommen, was einen eklatanten Verstoss gegen das Recht auf Behandlung und die Unverletzlichkeit von Krankenhäusern darstellt, die durch das humanitäre Völkerrecht und nationale Gesetze geschützt sind.

7. Es wurden mehrere Fälle festgestellt, bei denen von den Sicherheitsbehörden verhindert wurde, dass Patient:innen und verletzte Gefangene behandelt werden.

8. 13 Verdachtsfälle von Vergewaltigung und sexueller Belästigung, von denen acht vom 19. Dezember 2021 bestätigt wurden.

9. Die Putschisten haben eine rabiate Verhaftungskampagne gegen die Widerstandskomitees gestartet, welche noch anhält.

10. Einer dieser Verhafteten ist Mustafa, 11 Jahre alt. Er wurde schwer gefoltert.

Auf der Grundlage der obigen Ausführungen steht fest, dass der Staat jetzt vollständig unter Militärherrschaft steht, vom Zentrum bis zu den Bundesstaaten. Die allgemeine Lage lässt jedoch darauf schliesen, dass die täglichen Vorfälle und Verstösse, bei denen Demonstrant:innen getötet, abgeschlachtet und gefoltert werden, ein Beweis für das Versagen von Vereinbarungen sind, die nicht auf die Interessen der Bevölkerung eingehen oder diese einbeziehen.

 


Internationaler Druck nötig

 


Wir von der Sudanesischen Berufsvereinigung SPA fordern:

 

  1. Die Mitgliedschaft des Sudan in den verschiedenen internationalen Institutionen auszusetzen, bis ein neuer Verfassungsstatus unter ziviler Führung erreicht ist.
  2. Verhängung von individuellen Sanktionen gegen die Mitglieder des Putschrates und Verbot der Teilnahme an Konferenzen und Veranstaltungen auf internationaler Ebene.
  3. eine internationale Untersuchung unter der Schirmherrschaft der Afrikanischen Union über alle Verstösse einzuleiten, die nach der Verabschiedung des Beweisbeschlusses vom 25. August 2021 begangen wurden
  4. Jegliche technische und logistische Unterstützung für das sudanesische Militär und seinen Sicherheitsapparat einzustellen.
  5. technische und logistische Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen für ihre Rolle bei der Überwachung der öffentlichen Freiheiten und Verstössen gegen die Grundrechte.
  6. Aufforderung an die Europäische Union und die Liga der Arabischen Staaten, diese Massnahmen zu ergreifen, um die herrschende Junta in Khartum zu bedrängen.
  7. Druck auf die jeweiligen Regierungen auszuüben, die Putschregierung in Khartum nicht anzuerkennen.

 


Sudanese Professionals Association SPA

Übersetzt aus dem Englischen:FAT

Zur Sudanese Professionals Association: Die Sudanese Professional Association SPA ist ein Gewerkschaftsverband, dem verschiedene Gewerkschaften im Sudan angehören. Die SPA begann 2012 ihre Arbeit als Erweiterung der Sudanese Professional Federation. Sie spielte sowohl bei der Revolution im April 1985 als auch bei der Revolution im Oktober 1964 eine wichtige Rolle. Nach dem Militärputsch der Islamischen Front im Jahr 1989 wurde die Gewerkschaft aufgelöst, und die meisten ihrer Führer:innen wurden verhaftet, einige wurden ermordet, und andere waren gezwungen, zu flüchten und ihre Arbeit für die SPA vom Ausland aus zu fortzuführen. Die SPA hat wie schon in den vorherigen Revolutionen im Sudan auch in jener ab Dezember 2018 eine wichtige Rolle gespielt.

 

[1]: Weitere Infos und Hintergründe finden sich hier:

- Zur Constitutional Declaration

- Proteste und Streiks im Sudan (Artikel vom 15.3.2019)

- Massenproteste im Sudan und Algerien (Artikel vom 15.5.2019)

- Militär stellt sich gegen die Revolution (Artikel vom 15.7.2019)

- Ein Pakt mit dem Teufel? (Artikel vom 15.9.2019)

-

[2]: Hamduk wurde während des Putschs vom Militär abgesetzt und im November dann wieder eingesetzt. Hamduk hat nun jedoch anfangs Jahr seinen Rücktritt erklärt, da sich die progressiven Kräfte von Anfang an gegen ihn und sein Abkommen mit den Putschist:innen gestellt hatten. Zudem hat die Unterdrückung durch die Militärs massiv zugenommen.

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