Gerade mal drei Wochen haben sie es ausgehalten: Ausgerechnet die Parteien, die sonst immer Durchhalteparolen verbreiten, wollen die Pandemiemassnahmen lockern. Es müsse Sicherheit für die Wirtschaft geschaffen werden, die Wirtschaft leide und es könne ja nicht ewig ohne Planungssicherheit fortgefahren werden. Es ist kein Wunder, dass die bürgerlichen Parteien, vor allem SVP und FDP, dies so sehen: Sie nennen sich selbst Wirtschaftsparteien. Doch eine Wirtschaftskrise ist bereits da, sie wird wahrscheinlich noch sehr viel schlimmer werden (https://www.nytimes.com/2020/04/01/business/economy/coronavirus-recession.html) und wahrscheinlich wäre sie auch ohne Corona-Pandemie passiert: Die Lösungswege nach der Subprime-Krise 2008 waren alles andere als nachhaltig und haben neue Blasen gebildet, die seit mehreren Jahren zu platzen drohen (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/boerse/immobilienblase-103.html; https://www.welt.de/finanzen/article181426442/Finanzblase-Experten-warnen-vor-der-naechsten-Finanzkrise.html).
Börsenkrise war eine Frage der Zeit
Der grosse Börsencrash von Mitte Februar bis Anfang März 2020 ist auch nicht unbedingt direkt auf das Virus zurückzuführen: Ende Januar stiegen die Kurse stark an, Corona-Fälle waren da schon in zehn Ländern auf drei Kontinenten zu verzeichnen, am 30. Januar verkündete die WHO einen globalen Notstand und Mitte Februar waren in China bereits 1200 Tote zu beklagen – beides ohne Effekt auf die Börsenkurse. Aber wie bereits 2008 sind massive Verschuldungen im Finanzsystem zu sehen, weil die Zentralbanken mit frischem Geld versucht haben die Wirtschaft zu stützen (https://capital.com/stock-market-crash-2020). Finanzexpert*innen warnten denn auch in den Monaten vor dem Crash, dass eine so langes und stetiges Wachstum an der Börse zu einem Crash führen wird – einer sogenannten Kurskorrektur. Und dass die Corona-Pandemie bloss die Schneeflocke war, welche die Lawine ins rutschen gebracht hat. (https://time.com/5793506/a-stock-market-crash-was-coming-coronavirus-was-just-the-spark/) Dazu kam ein schwelender Machtkampf bei den Erdölförderern: Seit die USA ihre ganze Landstriche verseuchende Fracking- und Ölsand-Programme hochgefahren haben, sind die Preise gefallen, dies hat Länder wie Saudi-Arabien und Russland, die auf die Erdöleinnahmen angewiesen sind, in eine schwierige Lage gebracht. Dann kam die Coronakrise in China und die abnehmende Nachfrage führte zu fallenden Ölpreisen. Deswegen brach Anfang März der Machtkampf zwischen der OPEC (Organsiation of the Petrol Exporting Countries) um Saudi-Arabien und Russland offen aus. Die Folge war ein Preissturz beim Erdöl, um 24%-34%.
Wirtschaft oder Menschen?
Die Wirtschaftskrise ist also schon da und hat nur zum Teil etwas mit der Coronapandemie zu tun. Gut, aber sollte dann nicht alles unternommen werden, um die Wirtschaft zu stützen? Das Problem ist, dass gleichzeitig eine weltweite Pandemie herrscht. Und zwar von einer Krankheit gegen die es bis jetzt kein Gegenmittel gibt, und selbst die WHO annimmt, dass ein Gegenmittel noch Monate auf sich warten lassen könnte. Das heisst, wenn die Einschränkungen gelöst werden, wird eine zweite Welle riskiert, die noch grösser als die erste (https://medium.com/@tomaspueyo/coronavirus-the-hammer-and-the-dance-be9337092b56) wäre. Und die erste konnte in vielen Ländern nur mit Hängen und Würgen eingedämmt werden, gerade weil aus Angst vor wirtschaftlichem Schaden nicht von Anfang an harte Massnahmen eingeführt wurden. Dies ist mit ein Grund, wieso in vielen Staaten repressive Massnahmen eingesetzt wurden: Der Anfang der Pandemie wurde von den Politiker*innen schlicht verpennt oder heruntergespielt. In Spanien etwa wurden die Feierlichkeiten zum Frauenkampftag am 8. März nicht abgesagt und es ist davon auszugehen, dass sich an diesen Anlässen viele Menschen angesteckt haben. Wissenschaftler*innen sind sich noch nicht sicher, ob geheilte Corona-Patient*innen überhaupt immun gegen die Krankheit sind und wenn ja, ob diese Immunität auch bei anderen Virenstämmen des Neuartigen Coronavirus' greift (https://www.swissinfo.ch/eng/italian-regions-testing-for-signs-of-coronavirus-immunity-/45672142). Aus China, Japan und Südkorea sind vielmehr schon Fälle bekannt, wo Geheilte wieder angesteckt wurden (https://time.com/5810454/coronavirus-immunity-reinfection/).
Pandemie wird andauern
Mit anderen Worten: Die Pandemie ist alles andere als ausgestanden, es gibt keine Impfung dagegen und es ist nicht sicher, ob die „Herdenimmunität“, auf die viele Ökonom*innen öffentlich gesetzt haben, überhaupt erreicht werden kann FNOTE Virolog*innen gehen aufgrund der spärlichen Daten davon aus, dass eine Infektion von 70% der Bevölkerung erreicht werden müsste, um das Virus an der Weiterverbreitung komplett zu hindern FENDE. In einer solchen Situation Lockerungen zu verlangen bedeutet vor allem eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leben – und eine erstaunlich geringe Weitsicht: Wenn zwischen 3 und 10% der Bevölkerung stirbt, ist auch kein Wirtschaftswachstum zu erwarten. Der Handel von der Gesundheit der Bevölkerung gegen Wirtschaftswachstum funktioniert also schlicht nicht unddie Ideolog*innen von SVP und FDP und (mit etwas mehr Vorsicht ) CVP handeln schlicht verantwortungslos.
Und ganz am Rande: Wer soll denn in den Hotels übernachten oder in den Bergbahnen mitfahren, wenn die wieder aufgehen? Wenn die Schweiz die Grenzen wieder öffnet und somit erklärt die Krise im Griff zu haben, heisst das nicht, dass die Nachbarländer das auch so sehen. Und selbst wenn sie das täten ist die Frage, ob die Menschen im Moment denn überhaupt Lust und Geld hätten in die Ferien zu fahren. In dieser Hinsicht ist auch der vorgeschlagene Lockerungskurs des Bundesrats ab Ende April sehr kritisch zu betrachten.
Forderung der Wirtschaft ist asozial
Und da kommen wir zum zweiten Aspekt, der Forderungen der Bürgerlichen: Ihr Vorschlag ist nicht nur asozial, weil er Menschenleben aufs Spiel setzt. Er ist auch asozial, weil viele der Schwächsten in unserer Gesellschaft nicht geschützt werden: Temporäre können zwar Kurzarbeitsentschädigung beziehen, aber auch in zwei Tagen entlassen werden (was auch gemacht wird), wer auf Abruf arbeitet, aber mehr als 20% Schwankung im Pensum hat oder weniger als sechs Monate arbeitet, fiel lange durch alle Netze oder tut dies immer noch: Denn diese Person gilt offiziellnicht als arbeitslos und hat kein Anrecht auf Kurzarbeit. Dazu kommen andere Gruppen, die von den Bürgerlichen traditionell nicht unterstützt oder gar bekämpft werden: Alleinerziehende, Sans-Papiers und Obdachlose durchleben im Moment sehr harte Zeiten und für sie gibt es keine besonderen Schutzmassnahmen im Gegensatz zu teilweise millionenschweren Firmen.
Rettungsgelder werden wir selbst berappen müssen
Wie immer in grösseren (Wirtschafts-)krisen geht es nicht um das Überleben der einfachen Menschen, sondern um das der grossen und grössten Steuerzahler*innen und -Hinterzieher*innen, um das Überleben „der Wirtschaft“. Als ob die Wirtschaft unabhängig von den Menschen wäre! Der Schutz der Gesundheit von uns und unseren nächsten wird uns nicht einfach so gewährt werden. Die Milliardenbeträge die eingesetzt werden, um Firmen zu retten und Banken zu stützen, werden nicht von den Firmen und Banken zurückgezahlt werden, so wie das nach 2008 auch nicht geschah. Wir werden den Kopf hinhalten müssen, wenn wir uns nicht wehren. Wir müssen auf uns und unsere Nächsten acht geben. Wir müssen fordern, dass die, welche mehr als genug haben zurückzahlen müssen. Wir müssen dafür kämpfen eine soziale Gesellschaft zu erringen. Wir müssen uns unsere Zukunft bauen „Die Wirtschaft“ und die Mächtigen werden uns nicht dabei helfen.