An die Arbeiter*innen der Gastronomie

 

 

Nachdem schon seit Beginn der Pandemie durch Covid-19 der Bundesrat doch eher die Gesundheit der Betriebe und Reichen als jene der Bevölkerung berücksichtigte, ist dies mit den Lockerungen vom Montag dem 13. Mai nochmals schlimmer geworden.

 

Öffnung der Gastronomie um jeden Preis?

Zuerst hiess es lange noch, die Gastronomie müsse sich gedulden. Eine Öffnung schien lange frühestens im Juni realistisch. Nun prescht der bürgerliche Teil des Bundesrats vor und stösst viele vor den Kopf. Die überstürzte Öffnung der Gastro-Betriebe hatte selbst die Chef*innen kalt erwischt. Der Beschluss vom 29. April kam gerade mal zwei Wochen vor der angeordneten Eröffnung der Betriebe.

Der Sinneswandel der Regierung ist dahingehend zu interpretieren:

1. Die gesundheitlichen Interessen der Bevölkerung wurden auf Druck der Wirtschaftsverbände und -Parteien geopfert.

2. Der Staat will die ohnehin schon ungenügenden Leistungen der Kurzarbeit noch weiter kürzen: Denn bei einer erzwungenen Öffnung werden die bereits ungenügenden Absicherungen durch die Kurzarbeit weiter sinken.

Strenge Auflagen, kaum Zeit zur Umsetzung

Das Schutzkonzept, welches am 5. Mai veröffentlicht wurde ist sehr umfassend. Da stellt sich die Frage: Warum überhaupt die Öffnung? Solche eigentlich sinnvollen Auflagen zeigen, dass es vielleicht doch zu früh für eine Öffnung ist. Gleichzeitig ist der Katalog so umfangreich, dass eine Umsetzung in so kurzer Zeit für viele nicht möglich ist. Darunter leiden werden die Arbeiter*innen der Gastronomie, besonders im Service: Sie tragen das gesundheitliche Risiko bei einer mangelhaften Umsetzung z.B. mangels ausreichendem Händedesinfektionsmittel oder Masken. Und genau jetzt sollen die Betriebe an Material aufstocken, welches schon seit Monaten knapp ist: Masken, Visiere, Desinfektions- und Reinigungsmittel. Dies wird nicht nur gesamtgesellschaftlich die Verfügbarkeit nochmals verknappen, sondern wird dazu führen, dass gerade in den ersten Wochen wir als Arbeiter*innen ohne ausreichend Schutzmittel arbeiten werden müssen. Hier wird auch mit unserem Leben gespielt.

Arbeitspläne: Arbeitsrecht egal?

Selbst im schwachen Gesamtarbeitsvertrag der Gastronomie L-GAV steht, dass Schichtpläne zwei Wochen im Voraus bekanntzugeben seien. Das Schutzkonzept für die Branche kam jedoch erst weniger als eine Woche vor der Eröffnung. Der Bundesrat hat hier einen Bruch von unseren Arbeitsrechten willentlich in Kauf genommen.

Arbeiter*innen in der Zwickmühle

Die drohende mangelhafte Umsetzung bringt die Arbeiter*innen in eine Zwangslage: Falls aufgedeckt wird, dass die Schutzkonzepte schlecht umgesetzt werden, droht dem Betrieb die Schliessung und somit der Verlust der Kurzarbeit. Bisher drücken sich schon viele Betriebe vor der Lohnfortzahlungspflicht. Wenn keine Kurzarbeit gilt, stützen sie sich auf das Prinzip: Ohne Arbeit, kein Lohn. Dieses Prinzip trifft in der jetzigen Situation nicht zu. Es ist mühsam und kräftezehrend, diese Löhne einzufordern, welche uns eigentlich zustehen.

 

Arbeiter*innen, welche mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen ankreiden, riskieren also nicht nur eine Rachekündigung, sondern auch den Verlust der Kurzarbeitsgelder. Diese Praxis kommt einer Sippenhaft gleich, wobei natürlich wieder die Chef*innen am längeren Hebel sitzen und die Arbeiter*innen ihre Rechte auf Lohnfortzahlung erkämpfen müssten. Genau davor müssen wir geschützt werden. Denn sonst sind wir vor die Wahl gestellt, Mängel zu verschweigen oder unsere Lebensgrundlage zu verlieren.

Drohende Nullstundenverträge

Bei so viel Betrug an den Arbeiter*innen wie schon ohnehin in der Branche verbreitet ist, ist vorauszusehen, dass zukünftige Anstellungen nur noch mit Nullstundenverträgen abgeschlossen werden. Einer solchen Praxis ist ein Riegel vorzuschieben. Informell geben die Arbeitgeber*innenverbände bereits Empfehlungen ab, dass bei neuen Aushilfsverträgen keine Stundengarantien abgegeben werden sollen. Falls es zu einem erneuten Lockdown kommen wird, stehen diese Arbeiter*innen ohne Kurzarbeit und ohne Lohnfortzahlungen da. Denn genau die Arbeitgeber*innenverbände empfehlen ja, die Lohnfortzahlung einzustellen1.

Arbeiter*innen wurden bereits vorher verarscht

Es war grundsätzlich sehr zu begrüssen, dass die Ansprüche auf Kurzarbeit ausgeweitet wurden, z.B. auf Menschen auf Abruf. In der Gastronomie sind Verträge ohne Stundengarantien bzw. auf Abruf oft verbreitet. Doch viele von ihnen sind nun durchs Raster gefallen bzw. kriegen immer noch nicht ihr Geld: Kurzarbeit bleibt vielen verwehrt. Unklarheiten bezüglich der Kurzarbeitsansprüche werden gerade auf uns Arbeiter*innen abgewälzt. Die Devise ist: Uns wird kein einziger Rappen zuviel geschenkt, lieber sollen wir Hungern. Besonders die prekär Angestellten – auf Abruf, mit Nullstunden-Verträgen etc. - stehen seit dem Lockdown ohne Lohn da, sind aber durch die „laufenden Verträge“ nicht berechtigt, Arbeitslosengelder zu beziehen. Gleichzeitig drücken sich die Chef*innen, solche Menschen in die Kurzarbeit zu nehmen.

Arbeitsdruck wird zunehmen

Es ist auch absehbar, dass dort, wo die Betriebe öffnen, der Druck auf die Arbeiter*innen zunehmen wird. Die neuen Auflagen erhöhen die Arbeit, dass aber mehr Personal eingesetzt wird, bleibt mehr als fraglich. Denn genau jetzt werden die Betriebe versuchen zu sparen. Und wie schon vor der Krise werden sie versuchen, dies auf unserem Rücken zu tun. Wir als Arbeiter*innen müssen uns nun auch dagegen wehren, Gratisarbeit zu leisten, sprich Kurzarbeit zu kriegen und dann illegal Arbeiten zu müssen, nur um die Finanzen des Betriebs zu optimieren. Dies kam bereits während des Lockdowns vor und wird noch verstärkt probiert werden. Dagegen müssen wir uns entschieden wehren.

Forderungen:

  • Auszahlung der Lohnfortzahlungen und Kurzarbeitsgelder, welche vielen von uns noch zustehen!

  • Vorgehen gegen die illegale Praxis, Löhne aufgrund des momentan nicht geltenden Prinzips Ohne Arbeit, kein Lohn nicht zu bezahlen, was z.B. in gekündigten Arbeitsverhältnissen gerade verbreitet geschieht. Lohnfortzahlung jetzt.

  • Keine Kündigungen während der Krise.

  • Weiterführung der Kurzarbeitsgelder der Arbeiter*innen bei behördlich angeordneten Betriebs-Schliessungen aufgrund der Nichteinhaltung der Schutzauflagen.

  • Konsequentes Vorgehen gegen Nullstunden-Verträge, Arbeit auf Abruf oder aber eine Erweiterung des Anspruchs auf Kurzarbeit für alle in jenen Gruppen.

  • Übernahme der Arbeiter*innen-Anteile an den Sozialversicherungen bei Kurzarbeit, entweder durch die Betriebe oder die Arbeitslosenkassen. Aufstockung der Kurzarbeit auf 100%, entweder durch Arbeitgeber*innen oder Arbeitslosenkassen.

  • Echte Gewerkschaftsrechte jetzt! Zutritt zu Betrieben – unter Einhaltung der Hygienevorschriften natürlich – durch Gewerkschaften; Recht auf Wiedereinstellung bei missbräuchlichen und Rachekündigungen.

  • Eine Exit-Strategie, welche die Gesundheit der Bevölkerung und in diesem Fall die Gesundheit der Gastronomie-Arbeiter*innen durch übereilte und profitorientierte Entscheidungen nicht aufs Spiel setzt.

 

Es wird eine starke Organisierung benötigen, um diese Forderungen durchzusetzen. Doch den Arbeiter*innen in der Gastronomie sollte mittlerweile klar sein, dass wir nicht im gleichen Boot sitzen wie die Chef*innen und ihre Verbände, welche versuchen, uns auszubeuten und zu betrügen. Nur Solidarität untereinander hilft uns nun, keine falsche Sozialpartnerschaft. Organisiert euch.

 

Freie Arbeiter*innen Union Bern

 

1So verweist z.B. Gastrosuisse in ihren Merkblättern auf den Grundsatz Ohne Arbeit kein Lohn bezüglich der Frage nach Lohnfortzahlung während der Kündigungsfrist. Quelle: merkblatt-gastrosuisse-corona-lockdown-aktuelle-faq-rechtsberatung-01052020.pdf, abgerufen am 2. Mai 2020

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